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Überfordertes Personal, kein Leiter - Ministerium räumt Probleme in der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow ein. Gefangene schreiben an Petitionsausschuss

Beim Petitionsausschuss des Landtages landen häufig Beschwerden aus den brandenburgischen Gefängnissen. Häftlinge beklagen sich über die schlechte Verpflegung oder über zu wenige Briefmarken. Die jüngsten Hilferufe aus der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow (Ostprignitz-Ruppin) aber versetzen den Vorsitzenden des Petitionsausschusses, Henryk Wichmann (CDU), in Alarmbereitschaft. Häftlinge schildern die Situation als unzumutbar. Die Bediensteten zeigten sich überfordert, das Personal sei häufig krank. Auch verfügten die Betreuer in eskalierenden Situationen nicht über ausreichende Fremdsprachenkenntnisse. "Die Leute da drehen durch", zitierte die Zeitung "Der Prignitzer" einen Ex-Insassen. In diesem Jahr hat es offiziellen Angaben zufolge bisher einen Selbstmord und einen weiteren Versuch gegeben.

Zudem schnitt sich ein Gefangener in einem Krankenzimmer der Ruppiner Kliniken mit der Klinge eines Einwegrasierers in den Arm. Dies wertete die Anstalt nicht als Suizidversuch. Petition angeblich unerwünscht Der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses zeigt sich aus einem weiteren Grund hellhörig: "Mir wurde aus unterschiedlichen Quellen zugetragen, dass es massive Versuche gegeben hat, die Petitionen an den Landtag zu verhindern", sagte Wichmann der Berliner Morgenpost. Das Justizministerium unter Helmuth Markov (Linke) weiß davon nichts. "Uns liegen keine Ansatzpunkte dafür vor. Ein solches Verfahren wäre auch nicht in Übereinstimmung mit der Rechtslage", betont Vizeministeriumssprecher Alexander Kitterer. Er kündigt an: "Das Ministerium wird seine diversen Anstrengungen zur Unterstützung und Stabilisierung der Anstalt fortsetzen." Dass es in der JVA Neuruppin-Wulkow Probleme gibt, hat unlängst bereits der für den Strafvollzug verantwortliche Abteilungsleiter Ralf Andrä im Rechtsausschuss des Landtages eingeräumt.

Derzeit sind etwa 195 Gefangene in der Anstalt untergebracht. Mehrere Häftlinge schilderten zum Beispiel folgenden Fall: Am 5. Februar soll sich im videoüberwachten Schlichtungsraum mit der Nummer 107 Dramatisches abgespielt haben, ohne dass Beamte eingegriffen hätten. Gegen 18.30 Uhr soll ein Häftling mit dem Kopf gegen die Stahltür gerannt sein. Dabei habe er sich Verletzungen zugefügt. Er soll versucht haben, sich mit dem Reißverschluss eines Matratzenüberzugs die Pulsader aufzuschneiden. Als dies nicht funktionierte, habe der Mann zu einem Bettlaken gegriffen, um sich zu erhängen. Der schwerwiegende Vorwurf: Fünf Beamte hätten davor gestanden und hätten über eine Stunde lang nichts unternommen.

Auf Anfrage der Berliner Morgenpost erklärte der Ministeriumssprecher: "In dem Zeitraum, in dem der Gefangene gegen die Haftraumtür schlug, waren einschließlich der Leitungsebene acht Bedienstete zugegen." Diese seien keineswegs untätig geblieben. Der "als psychisch auffällig bekannte Gefangene" sei an dem damaligen Tag nach einer Haftunterbrechung aus einer psychiatrischen Klinik in die JVA zurückgebracht worden. Er habe sich gewehrt und beruhigte sich nicht. Schon als er im Klinikum abgeholt wurde, habe er "diverse Verletzungen im Gesicht aufgewiesen". Nachdem er versucht habe, sich mit einem Brillenglas Schnittverletzungen zuzufügen, sei er in dem überwachten Raum untergebracht worden. Der Raum sei fünfmal geöffnet worden, um mit dem Mann zu sprechen und ihm Mittagessen und Medikamente zu reichen. Bei einem Gespräch sei ein Dolmetscher dabei gewesen, bei einem weiteren ein Sozialarbeiter polnischer Herkunft. "Als festgestellt wurde, dass der Gefangene den Reißverschluss des Matratzenbezugs manipuliert hatte, um sich damit zu verletzten, wurde die Matratze entnommen", so das Ministerium. Er sollte daraufhin in einem anderen Haftraum fixiert werden.

Als er sich vom Notarzt nicht behandeln ließ, wurde er in die Klinik zurückgebracht. "Zu einem Bettlaken, mit dem er sich zuvor angeblich hatte erhängen wollen, gibt es keine Erkenntnisse", heißt es. Ein weiterer Fall wirft Fragen auf. Ende Januar nahm sich ein polnischer Gefangener das Leben. Den Vorwurf, der Suizid hätte möglicherweise verhindert werden können, wenn sich ein Polnisch sprechender Psychologe vorher um ihn gekümmert hätte, weist das Ministerium zurück. "Am 22. Januar führte eine Mitarbeiterin des allgemeinen Vollzugsdienstes mit dem Gefangenen ein sogenanntes Zugangsgespräch." Hinweise auf eine Suizidgefahr, die die Hinzuziehung eines Psychologen erfordert hätten, habe es dabei nicht gegeben. Nicht überzeugend hört sich allerdings die folgende Aussage des Ministeriums an: "Der Mann sprach zwar schlecht, aber hinreichend verständlich Deutsch, sodass die Hinzuziehung eines Dolmetschers entbehrlich war." Mit knapp 30 Prozent hat die Anstalt den höchsten Ausländeranteil im Land. In der JVA Neuruppin-Wulkow gibt es laut Ministerium zurzeit einen Psychologen, der auch Englisch und Französisch spreche.

Am 15. August werde eine weitere Psychologin ihren Dienst antreten, die auch Englisch und Russisch beherrsche. Außerdem sei in der JVA ein Sozialarbeiter tätig, dessen Muttersprache Polnisch sei. Zum Stichtag 31. März 2015 waren Gefangene aus 40 Nationen in Brandenburger Gefängnissen inhaftiert. Sprachkundiges Personal lasse sich "in hinreichendem Umfang weder gewinnen noch finanzieren", so der Ministeriumssprecher. Es seien aber für knapp 37.000 Euro Dolmetscher unter Vertrag. Das Ministerium bestätigt allerdings durchaus Missstände. Ein sehr ernstes Problem sei der seit Längerem unbesetzte Posten der JVA-Leitung, sagte Abteilungsleiter Andrä im Rechtsausschuss des Landtages. Daher helfe der Leiter der Anstalt Wriezen, Wolf- Dietrich Voigt, zwei Tage die Woche aus. Mehr Personal gefordert Die Situation dort sei "momentan insofern schwieriger als in anderen Justizvollzugsanstalten des Landes", als es "gravierende krankheitsbedingte Ausfälle" gebe. Auch im Bereich der Leitungsebene. Dadurch sei die Gesamtsituation angespannt. Zum Teil bestünden "Kommunikationsprobleme" bei der Teambildung des Personals. Gefangene berichten immer wieder, dass sich das Personal untereinander nicht verstehe. "Im Laufe des Jahres wird es uns gelingen, dort Normalität herzustellen", kündigte der Abteilungsleiter vor den Abgeordneten an.

Wolf-Dietrich Voigt, der die Leitung vorübergehend mit übernommen hat, fasste seinen Eindruck von der Situation in der JVA Neuruppin-Wulkow mit offenen Worten zusammen: "Wir brauchen dort eine bessere Kultur im Umgang mit Gefangenen. Dafür bedarf es eines anderen Menschenbildes." Dieses werde, so schränkt er mittlerweile ein, "nicht durchgängig in Neuruppin gelebt". Die CDU hat nun eine Anfrage an die Regierung gestellt. Der Vizevorsitzende des Rechtsausschusses Danny Eichelbaum (CDU) fordert für die JVA Neuruppin-Wulkow vor allem mehr Personal und benennt das Hauptproblem aus seiner Sicht: "Es muss endlich die Leitung besetzt werden."

Quelle: Berliner Morgenpost, 13.07.2015

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