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Rechtsstaatswidrige Zustände - Landessozialgerichts-Präsident Oesterle kritisiert die lange Dauer der Verfahren und greift Markov an

Das Personalpaket von Brandenburgs Justizminister Helmuth Markov (Linke) für die Sozialgerichte ist verpufft. Die Aktenberge mit Hartz-IVKlagen an den Sozialgerichten in Brandenburg sind unvermindert hoch. Mehr als 3700 Klagen sind bereits seit 2012 oder länger anhängig, teilte das Landessozialgericht am Mittwoch in Potsdam mit. Dies seien knapp elf Prozent der offenen Verfahren. Im Durchschnitt dauere es fast zweieinhalb Jahre, bis ein Fall abgeschlossen sei. Damit werde der in der Landesverfassung zugesicherte Rechtsanspruch der Bürger auf ein zügiges Verfahren gefährdet und in vielen Fällen rechtsstaatswidrig verletzt, erklärte der amtierende Präsident des Landessozialgerichts, Herbert Oesterle. Bürger könnten dadurch das Vertrauen in den Rechtsstaat in Zweifel ziehen.

Bereits vor einem Jahr hatte Oesterle gewarnt, dass an den vier brandenburgischen Sozialgerichten in Potsdam, Neuruppin, Frankfurt (Oder) und Cottbus wegen der langen Verfahren faktisch gegen die Verfassung verstoßen wird. Die Landesregierung müsse die Zahl der Richter zum Abbau der Altfälle vorübergehend für fünf Jahre um zehn Stellen aufstocken, forderte Oesterle. Auch darauf hatte er schon vor einem Jahr hingewiesen und einen Masterplan gefordert, auf dessen Grundlage im Jahr 2020 ein Zustand erreicht wird, "der mit Normalisierung beschrieben werden kann". Bei der Landesregierung wurde das Problem zwar erkannt, auch im Koalitionsvertrag. Doch getan hat sich nur wenig. Markov verschaffte den vier Sozialgerichten zwar vier neue Richterstellen.

Tatsächlich sei die Zahl der Richter mit dem Jahreswechsel aber um 1,6 Stellen zurückgegangen, beklagte Oesterle. Statt der festgeschriebenen 76,5 Richter gebe es aktuell nur 74,48. Der Grund: Richter gingen teils in Teilzeit und der Wegfall pensionierter Richter ist durch neues Personal nicht kompensiert worden. Der nötige Personalzuwachs um zehn Richter sei in unerreichbare Ferne gerückt, sagte Oesterle. Auch bei den sonstigen Justizbediensteten an den Sozialgerichten liege man weiter unter den Sollwerten. "Die angespannte Personalsituation, die sich mit immensem Arbeitsanfall paart, führt zu nicht hinnehmbaren Arbeitsbelastungen", sagte er. Das Personal an den Gerichten sei überfordert. Nötig sei deshalb, bei Pensionierungen die Stellen neu zu besetzen. Nur so sei zu gewährleisten, dass die Anzahl der pro Jahr erledigten Verfahren in etwa der Anzahl der pro Jahr neu eingehenden Streitsachen entspreche. Die CDU-Opposition im Landtag schloss sich der Forderung an.

"SPD und Linke verkennen seit Jahren die dramatische Lage an den brandenburgischen Sozialgerichten", sagte deren rechtspolitischer Sprecher Danny Eichelbaum. "Die Sozialgerichte in Brandenburg haben zu wenig Richter und zu wenig nichtrichterliches Personal, um die Gerichtsverfahren zügig abzuschließen." Justizminister Markov müsse endlich für genügend Personal an den Gerichten sorgen. Das Justizministerium entgegnete, in den vergangenen Jahren habe es in den Sozialgerichten eine positive Entwicklung gegeben. Allein 2015 seien gegenüber dem Vorjahr mehr als 1000 Fälle abgebaut worden. Dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) seien erst im vergangenen Herbst drei neue Proberichterinnen zugewiesen worden, einige gingen allerdings in Teilzeit. Von 2018 an seien jährliche Neueinstellungen geplant, um die große Zahl von Pensionierungen auszugleichen, hieß es aus dem Ministerium. Immerhin gibt es auch Lichtblicke: Erstmals seit 2005 wurden an den Sozialgerichten mehr Fälle (22 119) erledigt als neu eingingen (20 990).

Die Zahl der neuen Verfahren ging im Vergleich zu 2014 um 8,7 Prozent zurück. Die Gesamtzahl der Verfahren war am Jahresende um 3,2 Prozent geringer als im Vorjahr. In Cottbus und Potsdam konnte der Bestand an Verfahren gegenüber dem Vorjahr um 11,6 Prozent (Cottbus) und 7,3 Prozent (Potsdam) abgebaut werden. Der Grund: Die Zahl der Eingänge war rückläufig, mehr Fälle wurden erledigt. In Neuruppin und Frankfurt (Oder) aber hat sich die Lage nochmals verschärft: Dort gingen 2015 jeweils deutlich mehr neue Verfahren ein als die Richter erledigen konnten. Die Zahl der unerledigten Fälle wuchs an, in Frankfurt (Oder) auf 9102, in Neuruppin auf 7036. An diesen Gerichten hat sich zudem das Problem mit sehr alten und unerledigten Klagen verschärft. In Frankfurt stammen 17,11 Prozent aller offenen Fälle aus dem Jahre 2012 oder früher, im Sozialgericht Neuruppin sind es 12,17 Prozent. Zum Vergleich: Die Anzahl der Klagen, die bis 2012 erhoben wurden und noch unerledigt sind, summiert sich an den vier Gerichtsstandorten auf 3768 Verfahren, das sind knapp elf Prozent aller offenen Fälle.

Quelle: Potsdamer Neueste Nachrichten, 04.02.2016

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