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Nach Entlassung von Heroin-Dealer - Oberster Richter verbittet sich Justizschelte
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- Dienstag, 20. August 2019 07:11
Brandenburgs Ministerpräsidenten war der Kragen geplatzt, nachdem das oberste Gericht einen mutmaßlichen Drogenhändler auf freien Fuß gesetzt hatte. Die Sache hat ein Nachspiel im Parlament.
Potsdam. Nach der Kritik von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) an der gerichtlich angeordneten Entlassung eines Heroin-Dealers aus der Untersuchungshaft hat sich Brandenburgs oberster Richter Justizschelte verbeten. Der Chef des Brandenburger Oberlandesgerichts (OLG), Klaus-Christoph Clavée, sagte am Montag in einer außerordentlichen Sitzung des Rechtsausschusses im Landtag: „Es sollte der Konsens herrschen, dass man gerichtliche Entscheidungen, wenn sie denn rechtskräftig sind, auch wenn sie einem nicht gefallen, hinzunehmen hat“, so der Spitzenjurist. Äußerten sich Regierungsvertreter und Parlamentarier zu Gerichtsfällen, dürfe „nicht einmal der Eindruck entstehen, dass man auf die konkrete Entscheidung oder zukünftige Entscheidungen ähnlicher Art Einfluss nehmen wollte“, sagte der OLG-Präsident.
Woidke nannte OLG-Spruch „kaum vermittelbar“
Die Äußerungen beziehen sich auf eine Wortmeldung des Brandenburger Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) vom 14. August. Der Regierungschef hatte die Entlassungdes Drogenhändlers, der im Januar mit 60 Kilogramm Heroin im Gepäck auf frischer Tat gestellt und zum 1. August ohne Auflagen auf freien Fuß gesetzt worden war, mit den Worten kommentiert: „Dem Rechtsempfinden der Menschen in Brandenburg ist das kaum vermittelbar.“ Die OLG-Entscheidung widerspreche „dem gesunden Menschenverstand“. Woidkesagte weiter, rechtlich gesehen hätte das OLG die Untersuchungshaft durchaus verlängern können.
CDU-Rechtsexperte Danny Eichelbaumäußerte nach der Sitzung: „Der Mahnung des Präsidenten des OLGBrandenburg schließen wir uns an. Der Ministerpräsident ist gut beraten, die in Stil und Inhalt unwürdigen Grenzüberschreitungen zu unterlassen“. Eichelbaum nannte die Entlassung des Dealers einen „Justizskandal“, an dem die „unzureichende Personalausstattung einiger Gerichte“ und damit der Ministerpräsident selbst schuld sei.
Betroffenes Landgericht wurde personell gestärkt
Justizminister Stefan Ludwig (Linke) konterte, die Entlassung des Dealers könne nicht auf eine zu geringe Zahl von Richtern geschoben werden. Gerade das betroffene Landgericht in Frankfurt (Oder) sei personell und organisatorisch gestärkt worden sei. Zwei neue Strafkammern seien dort Anfang des Jahres eingerichtet worden, um die bestehende zu entlasten. Drei Proberichter seien eingestellt worden. Laut bundesweit gültiger Personalberechnung sei das Gericht mit genügend Stellen ausgestattet, so der Minister.
Die OLG-Richter hatten den 63 Jahre alten Dealer, der polnischer und griechischer Staatsbürger ist, wegen angeblich überlanger Verfahrensdauer laufen lassen, weil der Prozess im November, also zehn Monate nach der Verhaftung, beginnen sollte. Linken-Rechtsexperte Volkmar Schöneburgsprach im Ausschuss von einer „sehr engen Auslegung der Kammer“. Der ehemalige Justizminister sagte weiter: „Ich sehe nicht, was das Landgericht anders hätte machen können. Vielleicht hätten die Richter nicht in den Urlaub fahren dürfen.“
Das Justizministerium hat derzeit keine Kenntnis davon, wo der mutmaßliche Drogenhändler sich aufhält.
54 Häftlinge sitzen länger als sechs Monate in U-Haft
Laut Gesetz darf Untersuchungshaft höchstens sechs Monate dauern, es sei denn, das Verfahren ist besonders umfangreich oder komplex. Das OLGprüft die Haftfortdauer regulär. Derzeit sitzen laut Justizministerium 27 Verdächtige länger als ein halbes Jahr in Untersuchungshaft, die noch auf ein Urteil der ersten Gerichtsinstanz warten. 27 weitere warten in der Untersuchungshaft auf ihre Revisionsverhandlung.
Justizminister Ludwig sicherte zu, ab kommendem Jahr würden sich die 400 vom Land eingeplanten Neueinstellungen bemerkbar machen. Die Kehrtwende in der Personalpolitik sei eingeleitet. Den Verlust von 1850 Stellen seit den 1990er-Jahren habe im Übrigen auch eine Landesregierung unter CDU-Beteiligung zu verantworten. Ludwig weiter: „Das war der Beitrag der Justiz zur Haushaltskonsolidierung.“ Von Ulrich Wangemann
Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung, 20.08.2019