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Sicherungsverwahrung - Berlin prüft Freilassung von Straftätern
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- Sonntag, 16. Mai 2010 11:28
Die Berliner Justiz prüft, ob acht Straftäter aus der Sicherungsverwahrung frei kommen müssen. Die Verurteilten waren als besonders gefährlich eingestuft worden und deshalb nach Verbüßen ihrer regulären Freiheitsstrafe in Haft geblieben. Doch das war möglicherweise nicht rechtens.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur nachträglichen Sicherungsverwahrung wird in Berlin jetzt die Freilassung von acht Straftätern geprüft. Die Staatsanwaltschaft werde die Fälle dem Landgericht zur Entscheidung vorlegen, sagte der Sprecher der Justizverwaltung, Bernhard Schodrowski. Berücksichtigt werden müsse aber das Schutzbedürfnis der Bevölkerung. Wichtig sei auch, einen geordneten Übergang in die Freiheit zu organisieren.
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Diese acht wegen Gewalt- und Sexualdelikten Berliner Verurteilten sitzen länger als zehn Jahre in Sicherungsverwahrung, einer von ihnen bereits seit 1993. Sicherungsverwahrung beginnt nach einer regulär verbüßten Freiheitsstrafe. Die Täter bleiben dann im Gefängnis, wenn sie weiter als besonders gefährlich eingestuft werden. Die zeitliche Begrenzung von zehn Jahren Sicherungsverwahrung in Deutschland war erst 1998 aufgehoben worden.
Der Gerichtshof in Straßburg hatte am Dienstag entschieden, dass eine nachträgliche Sicherungsverwahrung rechtswidrig ist. Dahinter steht der Fall eines Gewaltverbrechers, der seit über 18 Jahren im hessischen Schwalmstadt in Sicherungsverwahrung lebt, weil er immer noch als gefährlich eingestuft wird. Als er 1986 verurteilt wurde, war die Sicherungsverwahrung noch auf zehn Jahre festgelegt. Die Straßburger Richter befanden nun, dass Sicherungsverwahrung sehr wohl als Strafe zu betrachten sei. Damit wurde die Verurteilung Deutschlands wegen einer solchen Verwahrung eines Gewaltverbrechers rechtskräftig. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte erklärt, mit dem Urteil sei „ohne jeden Zweifel und abschließend geklärt, dass jede Gesetzgebung zu der Sicherungsverwahrung einem strikten Rückwirkungsverbot unterliegt“.
Schon im Dezember hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in erster Instanz geurteilt, dass die rückwirkende Verwahrung von Straftätern ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention sei. Die Bundesregierung wollte das Urteil nicht akzeptieren, bekam nun aber nicht Recht.
Berlin setze sich nun für eine Neuordnung der Sicherungsverwahrung ein, sagte Sprecher Schodrowski. Berlin und Brandenburg wollen dafür in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe Eckpunkte aufstellen. Sie sollen bis zum Jahresende vorgelegt werden.
Gewerkschaft fordert wasserdichte Gesetze Die mögliche Freilassung acht gefährlicher Straftäter hat bei der Berliner Polizei und auch bei der Staatsanwaltschaft für Diskussionsstoff gesorgt. So kritisierte der Berliner Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Eberhard Schönberg, dass die Gesetze hierzulande nicht so formuliert seien, dass sie Bestand hätten. „Bei der Sicherungsverwahrung geht es ja nicht um den Strafgedanken, sondern vielmehr um die Sicherheit der Menschen. Man kann nur hoffen, dass die künftigen Gesetze wasserdicht gemacht werden.“ Solche Entscheidungen seien auch ein Schlag ins Gesicht der Beamten, die ihr Leben einsetzen, um solche Täter zu stellen und der Gerichtsbarkeit zu überstellen.
Das Landgericht muss sich bei der Entscheidung über die acht betroffenen Verurteilten beeilen. „Durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ist die Unterbringung in der Sicherheitsverwahrung für diese acht Männer offiziell rechtswidrig. Eile ist geboten, weil sonst der Vorwurf der Freiheitsberaubung im Amt im Raum steht“, so ein Staatsanwalt. Sollten Erkenntnisse vorliegen, die nach wie vor eine extreme Gefährdung skizzieren, die von einem der Männer ausgeht, könne sich die Vollstreckungskammer gegen diese neue Entscheidung stellen und die Unterbringung weiterhin anordnen. Der Täter müsste wiederum Rechtsmittel einlegen.
Nach Angaben eines ranghohen Kriminalbeamten besteht die Möglichkeit, einen Entlassenen observieren zu lassen. So könnte ihm beispielsweise die Auflage gemacht werden, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden und sich von Plätzen fernzuhalten, auf denen er sich seine Opfer gesucht hat – wie Spielplätze oder Schulen im Fall von Pädophilen. Zudem könnten Beamte durch „Gefährderansprachen“ verdeutlichen, dass die Polizei ein Auge auf ihn hat.
Neu-Verurteilte nicht von Entscheidung betroffen Brandenburgs Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke) sieht nach dem Urteil zur nachträglichen Sicherungsverwahrung kein erhöhtes Risiko für die Bevölkerung. Das Straßburger Urteil betrifft laut Schöneburg in Brandenburg derzeit drei Gefangene, die vor 1998 verurteilt wurden und nach Abbüßen ihrer Freiheitsstrafe maximal zehn weitere Jahre in Sicherungsverwahrung gehalten werden können. Der erste von ihnen werde 2014 entlassen, sagte der Minister am Mittwoch in Potsdam. Es blieben somit vier Jahre Zeit, „um ein erfolgreiches Sicherheitsmanagement zu entwickeln“. Insgesamt säßen fünf Häftlinge in Sicherungsverwahrung, davon vier in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel. Im Jahr 2019 seien es nach jetzigem Stand voraussichtlich 18 Straftäter, die gleichzeitig mit dem Urteilsspruch zu einer Sicherungsverwahrung verurteilt wurden oder noch verurteilt werden, sind laut Schöneburg nicht von der Entscheidung der Straßburger Richter betroffen. Die Sicherungsverwahrung müsse mit zwei Zielen neu geregelt werden: die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten und weiterhin gefährliche Straftäter im Gefängnis ein möglichst menschenwürdiges Leben führen zu lassen.
Der rechtspolitische Sprecher CDU-Landtagsfraktion, Danny Eichelbaum, sagte, ein wirkungsvoller Schutz der Menschen vor gefährlichen Straftätern dürfe nicht zwischen den Vorgaben des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention zerrieben werden. „Die drei in Brandenburg von der Entscheidung betroffenen Straftäter müssen weiterhin hinter Schloss und Riegel bleiben“, forderte er. Bei der Neuregelung und Vollzug der Sicherungsverwahrung sollten Brandenburg und Berlin mit einer Stimme sprechen.
„Die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass der Staat seine Bürger vor schweren Sexual- und Gewaltstraftätern schützt. Dieses Vertrauen wird durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zerstört“, meinte der CDU-Politiker. Er fordert von der Bundesjustizministerin einen Regelungsvorschlag, um gesetzliche Lücken bei der Sicherungsverwahrung zu schließen.
Quelle: Berliner Morgenpost, 14.05.2010