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Obdachlosen-Mörder auf der Flucht - Gefangener der JVA Wriezen türmt durch offenes Fenster der Knastküche / Kritik am offenen Vollzug in Brandenburg

Holger U. starb wegen 3,30 Euro. Ein paar Münzen und sechs Zigaretten zogen die beiden Jugendlichen im Oktober 2007 dem stadtbekannten Obdachlosen ab. Dann malträtierten sie den Mann mit Tritten gegen den Kopf, warfen ihn in den Teich im Frankfurter Stadtpark, sahen zu, wie er ertrank. Im April 2008 wurden die damals 16-Jährigen wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von je acht Jahren verurteilt. Nun ist einer der beiden Täter auf der Flucht.

Im Juli 2013, nach Abschluss seiner Berufsaubildung im Garten- und Landschaftsbau, hätte Lucjan W. vorzeitig aus der Haftanstalt Wriezen kommen können. Nun hat er sich selbst entlassen: Am Montag entkam der 21-Jährige aus der Gefängnis im Kreis Märkisch-Oderland, in dem Jugendliche und junge Erwachsene inhaftiert sind. Die Fahndung nach dem gebürtigen Küstriner, der zuletzt in Frankfurt (Oder) lebte, läuft. An der Grenze zu Polen gab es am Montagabend Kontrollen, wie ein Polizeisprecher sagte.

Obwohl er ein Mörder ist, gilt W. nicht als gefährlich. „Eine Gefahr für die Öffentlichkeit wird derzeit nicht angenommen“, teilt das Polizeipräsidium Ost mit. Seine Sozialprognose sei positiv, bestätigt der stellvertretende Sprecher des Potsdamer Justizministeriums, Ronald Pienkny. Der Verurteilte habe eine Therapie abgeschlossen, eine Berufsausbildung angefangen, seine familiären Kontakte stabilisiert. Deswegen wurde er im Juli dieses Jahres auch in den offenen Vollzug verlegt, den die Häftlinge tagsüber für ihre Ausbildung verlassen können.

Doch in letzter Zeit nahm sich W. offenbar zu viel Freiheiten heraus: Der 21-Jährige, der bislang seine Lehre ohne Beanstandungen absolviert hatte, erschien nicht mehr zum Unterricht. Die Leiterin der JVA ordnete daraufhin die Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug an. „Entgegen der bestehenden Weisung wurde ihm gestattet, persönliche Gegenstände einzupacken“, so Pienkny. Das nutzte W. zur Flucht: Unter einem Vorwand betrat er in Begleitung eines Vollzugsbeamten die Küche im Erdgeschoss des offenen Vollzugs, stieg durch ein offenes Fenster und kletterte über einen Zaun. Zwei JVA-Mitarbeiter seien sofort hinterher geeilt, konnten den Flüchtigen aber nicht mehr einfangen. Nun wird laut Pienkny geprüft, ob ein Fehlverhalten von Bediensteten die Flucht begünstigte – und dienstrechtliche Konsequenzen gezogen werden müssen.

Aus Sicht der Opposition muss der Fall noch ganz andere Folgen nach sich ziehen: „Die Ausweitung des offenen Vollzugs muss sofort gestoppt werden“, fordert der Rechtsexperte der CDU-Landtagsfraktion, Danny Eichelbaum. Diese lockere Form der Haft führe zu mehr Gefängnisausbrüchen. Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke) gefährde mit seinem „romantischen Strafliberalisierungsprogramm“ die Sicherheit der Bevölkerung.

Das Justizressort sieht aber keinen Grund, von seinem Kurs abzuweichen: Schöneburg plant eine neues Justizvollzugsgesetz, das zahlreiche Lockerungen vorsieht, unter anderem mehr Freigänge und einen Ausbau des offenen Vollzugs, in dem derzeit 245 der 1360 Häftlinge im Land ihre Strafe verbüßen. Er verspricht sich eine bessere Resozialisierung und damit weniger Rückfallgefahr, wenn Gefangene den Übergang in die Freiheit trainieren. Bei günstiger Sozialprognose können selbst Mörder wie W. im offenen Vollzug landen, oft sind es aber Kleinkriminelle, die eine Geldstrafe nicht zahlen können und ersatzweise einsitzen.

W. ist bereits der vierte ausgebüchste Häftling in diesem Jahr – drei davon hauten aus dem offenen Vollzug ab. Erst Anfang Juli war ein Versicherungsbetrüger aus der JVA Brandenburg/Havel getürmt. Sieben Tage später kehrte er reumütig wieder zurück. (Von Marion Kaufmann)

Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung, 29.08.2012

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