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Die Uhren stehen auf fünf vor zwölf - Kita-Initiative Brandenburg: Erzieherinnen schuften sich kaputt – zu leiden haben die Kinder

Die Sonne lacht, die Luft ist warm – ideales Wetter zum Spielen unter freiem Himmel. Auf dem großen Spielplatz der DRK-Kita „Löwenzahn“ in Großbeeren herrscht geschäftiges Gewusel. Es wird geschaukelt, gewippt, geklettert, gebuddelt, gelangweilt, gekreischt, gelacht, geweint. Und mittendrin einige Erzieherinnen, die anschubsen, aufpassen, animieren, trösten, ermahnen. Bei diesem Wetter haben sie noch Glück, weil die meisten Kinder sich weitgehend selbst beschäftigen können. Trotzdem ist ständige Konzentration gefragt. Wie anstrengend ein solcher Job sein kann, auch wenn laut brandenburgischem Erzieherschlüssel genügend Betreuer anwesend sind, konnte gestern der CDU-Landtagsabgeordnete Danny Eichelbaum in der Großbeerener Kita erfahren. In einer der kleineren Kindergartengruppen mit 13 Kindern soll er eine der beiden Erzieherinnen ersetzen, weil die – so will es das Rollenspiel – wegen Krankheit ausgefallen ist. Damit der pädagogisch eher u  nerfahrene Abgeordnete überhaupt weiß, was er zu tun hat, steht ihm die angeblich ausgefallene Erzieherin zur Seite. Dabei soll Silke Schneider nichts tun oder anfassen, was ihr sichtlich schwer fällt. Um auf ihre vielfältigen Aufgaben aufmerksam zu machen, die sie neben der Kinderbetreuung auch noch zu erledigen hat, wie Beobachtung, Dokumentation, Entwicklungsgespräche, Urlaubsvertretung, Weiterbildung, hat sie das alles auf ihr weißes T-Shirt geschrieben.

In der zweiten Stunde kommt Eichelbaum zu den Krippenkindern. Ein Dutzend Anderthalb- bis Zweijährige wollen jetzt zu Mittag essen und warten mit großen Augen und offenen Mündern vor ihrem Raum. „Die sind ja niedlich!“, sagt Eichelbaum. „Was will denn der Onkel hier?“, denken sich die Knirpse, tapsen aber willig zu den Waschbecken, wo sie sich von ihm die Hände waschen lassen. Danach werden die Lätzchen umgebunden und Klopse mit Kartoffelbrei ausgeteilt. Nach dem Füttern heißt es ausziehen und Windeln wechseln. Sobald die Kleinen ihren Mittagsschlaf halten, kann sich der Abgeordnete wieder seiner parlamentarischen Tätigkeit widmen.

Eichelbaums Einblick in die Berufswirklichkeit der Kita-Erzieherinnen war zwar nur kurz, aber eindrücklich. Er sagt: „Was wir hier nicht schaffen, müssen wir später reparieren.“ Das war ihm aber auch schon vorher klar.

Doch das ist genau das Argument, das Kita-Leiterin Simone Rathmann immer wieder vorbringt, nur etwas drastischer ausdrückt: „Wenn am Fließband jemand ausfällt und er nicht ersetzt wird, entsteht am Ende Ausschuss. Unseren Ausschuss sieht man erst viele Jahre später.“

Bei der Stellensituation in Brandenburg kämen die Kinder einfach zu kurz, bedauert Rathmann. „Zwischen 80 und 100 Tage im Jahr steht eine Kollegin mit ihrer Gruppe ganz allein da, also mit der doppelten Anzahl an Kindern. Wie soll man sich da noch den Kindern individuell zuwenden?“, fragt sie sich. Da bleibt der pädagogische Ansatz des Landes hinter der Realität zurück. Irgendwie schaffe man es dann doch, weil an dem Job so viel Herzblut klebe, nur arbeite man sich dabei kaputt. Auch deshalb steht die Aktionswoche der Kita-Initiative Brandenburg unter dem Motto „Es ist 5 vor 12“. Gefordert wird mehr Zeit, mehr Zuwendung, mehr Bildung, also mehr Erzieher für die Kinder.

„Ich schreie weniger wegen der Kolleginnen“, sagt Simone Rathmann, „sondern mehr wegen der Kinder.“ Anstatt später teure Programme aufzulegen, um Bildungs- und Erziehungsdefizite zu kompensieren, sollte gleich mehr in die frühkindliche Erziehung und Betreuung investiert werden.

Der gegenwärtige Personalschlüssel liegt bei einem Erzieher für sechs Krippenkinder beziehungsweise zwölf Kindergartenkinder. Dabei gibt es noch Abzüge von 20 Prozent für Kinder, die nur bis zu sechs Stunden am Tag betreut werden. Die Kita-Initiative fordert dagegen einen Personalschlüssel von 1:4 beziehungsweise 1:10, der stufenweise erreicht werden soll. Außerdem sollte die Kita-Leitung bei Einrichtungen mit mehr als 100 Kindern von der Gruppenarbeit befreit werden, die Erzieherinnen mehr Urlaub und mehr Zeit für Weiterbildung und für Vor- und Nachbereitungen bekommen. Trotz all der Widrigkeiten ist Elternvertreterin Andrea Fecke voll des Lobes für die „Löwenzahn“-Kita und ihre Erzieherinnen. Die Eltern seien sensibilisiert für deren Probleme. „Wenn wir nicht so viele aktive Eltern hätten, sähen wir aber ganz schön blass aus“, sagt sie.

„Dabei haben wir es hier im Speckgürtel noch richtig gut“, ergänzt Kita-Leiterin Rathmann. Hier gebe es so gut wie keine sozialen Problemfälle und verhaltensauffällige Kinder. Weiter südlich im Kreis sehe das ganz anders aus, weiß sie von Kolleginnen. (Von Hartmut F. Reck)

Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung, 24.05.2012

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